Kunst im Dialog

„Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können.“
Christoph Schlingensief (1960 - 2010), deutscher Film- und Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler

Das Zitat beschreibt ganz wunderbar meine Empfindungen, wenn ich vor einem Werk stehe und es gefällt mir oder es gefällt mir einfach nicht. Meist kann ich nicht wirklich in Worte fassen, warum ich die Entscheidung treffe. Doch tief im Inneren weiß ich genau, sie ist für mich richtig.
Offenbar geht das nicht nur mir so. Häufig stelle ich die gleiche Reaktion fest, wenn ich meine Werke präsentiere. Meist kommen die Betrachterinnen und Betrachter spontan, aber zielgerichtet auf ein Bild zu und erklären, dass es ihnen besonders gut gefällt. Auch weiteres Suchen führt zu keinem anderen Ergebnis. Irgendetwas zieht den Betrachter/die Betrachterin magisch an, gefällt, gibt Rätsel auf, löst Empfindungen aus und regt einen Dialog an. Das ist für mich immer ein ganz tiefer Moment, denn er belohnt meine Arbeit in perfekter Weise. Häufig frage ich, was die Anziehung des Werkes ausmacht. Dann bekomme ich so viele Antworten, wie es Betrachter/innen gibt. Die Vielfalt ist herrlich und zudem inspirierend, denn sie eröffnet auch mir ganz neue Betrachtungsmöglichkeiten.
Genau an dieser Stelle wird mir immer bewusst, dass wir beim Betrachten von Bildern in einen Dialog treten, der von den Akteuren Kunstwerk – Betrachter/in – Künstler/in gebildet wird. Daraus ergeben sich 3 Ebenen:
Dialog zwischen Kunstwerk + Betrachter/in
Dialog zwischen Kunstwerk + Künstler/in
Dialog zwischen Künstler/in + Betrachter/in
Anhand von ein paar Beispielen habe ich gemeinsam mit Freunden/innen versucht, diesen Dialog nachvollziehbar zu machen.

Halbkreise

Thomas: In diesem Gewirr von bunten Halbkreisen sehe ich zumindest bei bestimmten Lichtverhältnissen ein Mädchen mit Rock.

Ich: Dieses Bild habe ich meinem Mann gewidmet, der mich bei meiner Malerei immer perfekt unterstützt. Ich habe für ihn ein buntes, frohes Werk frei von allem Gegenständlichen geschaffen.

Mein Fazit: Jetzt gehen wir seit über 40 Jahren gemeinsam durch das Leben und haben gleichwohl beim Betrachten des Bildes ganz unterschiedliche Assoziationen.

Eis am Stiel

Katja und Andreas: Die fröhlichen Farben haben uns sofort angezogen, die gespachtelten Formen erinnern uns an Eis am Stiel und damit an eine unbeschwerte Kindheit mit leckerem Eis und vollgekleckerten T-Shirts. Ein wunderbarer farbenfroher Mix.

Ich: Überwiegend arbeite ich mit Primär- und Sekundärfarben. Hier wollte ich mit differenzierten Farbmischungen und Farbnuancen experimentieren.

Mein Fazit: Auch für mich geht von dem Werk eine fröhliche Stimmung aus. Die Assoziation mit dem „Eis am Stiel“ finde ich witzig und zudem zutreffend.

Berge

Katja: Ich habe dieses Bild gesehen und mich sofort mittendrin wahrgenommen. Es verkörpert für mich die Alpen mit schnell heranziehenden Gewittern und das klare, kräftige Blau am oberen Ende die Hoffnung, dass bald die Sonne wieder scheint.

Ich: Das ist eines meiner seltenen Bilder, das mit größeren Farbflächen aus dunklen Farbtönen spielt. Trotzdem wirkt es auf mich überhaupt nicht trist.

Mein Fazit: Die Assoziation zu den Bergen im Bild kann ich trotz meiner abstrakten Absichten gut nachvollziehen. Die Reaktion von Katja macht mir Mut öfters einmal mit einem breiteren Farbspektrum zu arbeiten.

Blau

Katja: Dieses Bild hat zuallererst Andreas begeistert: Besonders die vorrangigen Blautöne. Bei näherem Betrachten entdecken wir in den abstrakten farbigen Gebilden jede Menge Formen, die Gebäude oder Figuren darstellen könnten. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, oder man erfreut sich einfach am Bild, weil es Farbe in den Raum bringt.

Ich: Das Werk ist aus der Serie meiner ersten abstrakten Bilder. Auch ich freue mich noch heute über die gelungenen Kompositionen. Schon mehrfach haben mir Betrachter/innen geschildert, welche Motive sie in den Bildern sehen und entdecken. Und die sind jeweils vollkommen unterschiedlich.

Mein Fazit: Es ist beglückend festzustellen, wie Kunstwerke die Phantasie anregen.

Wirbel

Katja: An einem schönen Sommertag besuchten wir die Künstlerin in ihrem Atelier mit angrenzendem Garten. Gleich beim Betreten des Grundstücks spitzte dieses Bild hinter einem anderen im Atelier hervor. Gehörte es wohl gar nicht zur Ausstellung? Die Farben haben mich in ihrer Intensität sogleich angesprochen - beim Betrachten des Bildes fühlt es sich an, als würde man in die Farbkreise und Spiralen hineingezogen - nun sorgt es morgens bei jedem Wetter für gute Stimmung, denn es hängt in unserem Wohnzimmer :) 

Ich: Die kleine Serie „Wirbelbilder“ entspricht nach meinem Empfinden auch meinem Temperament – bunt und voller Energie.

Mein Fazit: Auch ich erfreue mich immer wieder an der Dynamik und Fröhlichkeit, die von diesen Werken ausgeht.

Bildserie Hannelore

Ich: Die kleine Bildserie in Rakeltechnik besteht aus drei sich ergänzenden Teilen. Immer wenn ich sie mir ansehe denke ich, dass sie eine ganze Geschichte erzählen. Was das allerdings ist, bleibt für mich nach wie vor ein Geheimnis.

Hannelore: Bei diesem Bild sind alle guten Laune Farben vereint, das Bild hängt vis-á-vis von meinem Frühstücksplatz und ergibt mit einem bunten Blumenstrauß eine gelungene Einheit!

Hannelore: Mir zeigt das Bild: „Auch wenn der Himmel manchmal dunkel und bedeckt ist, wenn man genau hinschaut, sieht man wie sich das Licht durch das ganze Bild zieht und sich kraftvoll in der rechten Ecke bündelt. Das Bild hat mich besonders beeindruckt!“

Hannelore: Mir ist nicht ganz klar, was sich hier im Wasser tummelt. Ist es ein Boot? Ist es ein Fisch? Ganz egal, das Wasser ist ruhig und strahlt Gemütlichkeit aus.

Mein Fazit: Es freut mich, dass das Rätselhafte der Bildserie ankommt. Vielleicht gibt es ja noch ganz viele Geschichten zu sehen und zu erzählen.

Gute-Laune-Bild

Christa und Wolfgang: Das Bild erfreut uns jeden Tag; die bunten frischen Farben haben etwas Fröhliches und verbreiten eine gute Stimmung. Auch die Maltechnik fesselt immer wieder unseren Blick: grobe breite Spachtelstriche in denen man bei genauem Hinsehen viele feine Strukturen in den übereinanderliegenden Farbschichten entdeckt. 

Ich: Die „Farbstreifen“ sind meine ersten Werke, bei denen ich meinen eigenen Stil gefunden habe. Ich hatte sie Christa und Wolfgang bei einem Besuch gezeigt und sie waren so begeistert, dass sie das Bild noch abends nach Hause trugen. Das hat mich gefreut und fasziniert.

Mein Fazit: Die positiven Rückmeldungen über die Jahre hinweg machen mir Mut, weiter meinen eigenen Weg zu gehen.

Wiese im Wind

Doris: Das Bild in der Küche hängt schon sehr lange. Im Winter, morgens draußen noch dunkel, Spot an, Kaffeeduft, da hat es seinen großen Auftritt. 

Ich: Beim Malen hatte ich die Assoziation von Federn. Schön, dass jeder etwas anderes entdeckt.

Mein Fazit: Meine Schwester war die Ursache dafür, dass ich wieder mit dem Malen begonnen habe, denn sie hat mich zu einer Kunstausstellung in Köln mitgenommen. Es freut mich, dass ich ihr diesen Anstoß in trüben Wintermonaten zurückgeben kann.

Wolkenbild

Margot und Peter: Das Wolkenbild in unserer Wohnküche begeistert uns Tag für Tag mit seinen ineinanderfließenden, leuchtenden Farben. Zugleich ist das Wolkenbild ein absoluter Freudenspender, weil es unsere Gedanken in vielerlei Richtungen schweben lässt und glücklich macht.

Ich: Von den Werken mit den großen Farbflächen, die ich gerne Wolkenbilder nenne, habe ich im Sommer eine ganze Serie gemalt, was mir viel Freude bereitet hat.

Mein Fazit: Es ist schön, dass die Freude bei der Arbeit nun auch beim Betrachten immer wieder überspringt.

Regenbogen

Margot und Peter: In diesem Bild sehen wir überaus strahlende Regenbogenstreifen. Mit seinen krachenden Farben erinnert das Bild an die Erlösung nach einem heftigen Gewitter. Die Farbmischungen von hellen, als auch dunklen Stellen beschreiben genau das Bild nach Blitz und Donner.

Ich:Meine Farbstreifen habe ich hier in einer parallelen Anordnung gemalt, die für mich relative Ruhe ausstrahlen.

Mein Fazit: Die Vielfalt der Assoziationen beim Betrachten ist einfach faszinierend und zugleich beglückend für mich.

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